Von Peter Müller und Alexander Girkinger

Gut eine Woche nach dem 28. Bergmarathon rund um den Traunsee möchten wir noch einmal an den auf tragische Weise verstorbenen 24-jährigen Teilnehmer denken … und doch ausführlich aber bedacht über unser Antreten über die Gesamtdistanz (ca. 65 Kilometer und 4500 Höhenmeter) reflektieren.

Dunkle Wolken

Das starke Gewitter, welches um ca. 16:40 zum Rennabbruch führte, war leider nur ein dunkles Vorzeichen
Das starke Gewitter, welches um ca. 16:40 zum Rennabbruch führte, war leider nur ein dunkles Vorzeichen

Unfälle dieser Art können multiple Ursachen haben. In diesem Fall wissen wir bis zum heutigen Tag nur das, was in den Medien steht. Voreiligen Mutmaßungen und Verallgemeinerungen möchten wir uns an dieser Stelle enthalten. Unser beider Gedanken waren auch noch Tage nach der Veranstaltung beim Verunglückten und seiner Familie, weniger bei unseren persönlichen Erlebnissen. Es muss an dieser Stelle behutsam und vorsichtig betont werden, dass trotz aller Bemühungen seitens des Veranstalters, einen Bergmarathon diesen Ausmaßes „sicher“ über die Bühne zu bringen und bei Unfällen dieser Art richtig und schnell zu reagieren, die letztendliche Verantwortung bei den teilnehmenden LäuferInnen und ihrer physischen und geistigen Konstitution und Urteilsvermögens liegt. Das ultimative Ziel eines solchen Vorhabens kann und darf niemals der Zieleinlauf, die Medaille, der Bericht danach oder die schnellste Zeit sein. Man sollte sich darüber bewusst sein, dass man unter Umständen aufgeben muss und/oder die angebotene Hilfe der vielen freiwilligen Helfer in Anspruch nehmen muss. Über Faktoren wie ausreichendes Training, Regenerationszeiten und Selbsteinschätzung (sowohl in der Vorbereitung, als auch während des Bewerbes) muss jeder Sportler/jede Sportlerin selber nachdenken, wobei schon Hilfestellungen im Vorfeld und in der Vorbereitung von großem Nutzen sind. Welche Informationen und Ansprechpartner man im Vorfeld heranzieht, ist Teil des erwähnten Urteilsvermögens. Die zurecht kritischen Worte von Christoph Girkinger seien hier ebenso zu unterstreichen, wie auch die Tatsache, dass bei Bewerben dieser Art niemals die Kompetitivität, der „Wettkampf“ und Konkurrenzcharakter im Vordergrund stehen dürfen, vor allem unter Berücksichtigung der objektiven Gefahren am Berg und an der Strecke und den extremen Belastungen an den Körper.

Gesellschaft und (Leistungs-)Sport

Zusätzlich wollen wir an dieser Stelle anmerken, dass man die negativen Ausuferungen im Hobby-, und Extremsport auch anderen, sehr oft strukturellen, Faktoren zuschreiben kann. Vor allem in westlichen Gesellschaften, aber auch einigen „Schwellenländern“, haben sich die Formen des Zusammenlebens unaufhörlich in vorwiegend quantifizierende und konkurrenzorientierte Gebinde mit starken Individualisierungstendenzen entwickelt. Während in manchen Gesellschaften die soziale Vereinsamung und Selbstmordrate im Steigen begriffen sind, kommt es in anderen Gesellschaften zu erhöhtem Geltungsdrang und Risikobereitschaft ohne Rücksicht auf Verluste und Konsequenzen.  Diese negativen Einflüsse lassen sich auch im Leistungs- und Hobbysport beobachten, wobei sowohl das Leistungs- und Konkurrenzdenken, als auch der übertrieben zelebrierte Lifestyle (man denke an einen österreichischen Getränkehersteller) Kollateralschäden hinterlässt, die letztendlich von der Allgemeinheit getragen werden müssen.

Persönlicher Zugang zu „Leistung“

Die jeweilig persönliche Interpretation von „Leistung“ kann sowohl im Leben als auch im Sport unterschiedlichen Kriterien unterliegen. Obwohl im Laufsport ausschließlich quantitative Einheiten wie Zeit, Kilometer und Höhenmeter eine eindeutige Wertung beziehungsweise ein eindeutiges Ergebnis ermöglichen, so sehen wir die Teilnahme an „Wettkämpfen“ dieser Art unter folgenden Aspekten: Die Natur in einer der für den Menschen ursprünglichsten Bewegungsarten zu erleben und ihr und den anderen TeilnehmerInnen respektvoll und kooperativ zu begegnen. Die Möglichkeit, ein Stück des langen Weges gemeinsam zu gehen und das eigene Ego hintanzustellen. Wo es möglich ist, bedacht zu laufen, unter ständiger Beobachtung der eigenen Leistungsfähigkeit und/oder des eigenen Befindens. Diese Haltung und das Gefühl, in einer Gruppe (vermutlich) ähnlich gesinnter eine im Training unmöglich zu bewältigende Strecke zurückzulegen, das sollte im Vordergrund einer Anmeldung und Teilnahme stehen.

Vorbereitung, persönliche Erkenntnisse und der Tag X

Wir haben in den letzten Jahren bei sehr vielen Laufveranstaltungen auf Straßen und Trails teilgenommen. Nach und nach versuchten wir uns durch individuelles und gemeinsames Training vorsichtig an längere und auch alpin-technische Strecken heranzutasten, bisher verletzungs- und beschwerdefrei. Parallel dazu ist es auch wichtig, durch intensive und kritische Lektüre die Eigenheiten und Tendenzen im Laufsport und Trailrunning zu beurteilen und selektiv für sich zu nutzen. Am Start und im Ziel der individuell und gemeinsam bestrittenen Bewerbe konnten wir sowohl sehr viel Egoismus und Getriebenheit, aber auch erstrebenswerte Tugenden wie Selbstlosigkeit und Engagiertheit unter den MitläuferInnen erleben. Vor allem hinsichtlich letzterer rückte die real gegebene Wettkampfsituation dabei immer mehr in den Hintergrund. Andererseits ist es natürlich wichtig, sich dann und wann mit Anderen zu „messen“ und die eigenen Fähigkeiten „dezent und anspruchslos“ zu testen. Laufen als gesamtheitliche und komplexe Sportart erfordert sicherlich einen hohen Grad an Intelligenz und Interpretationsfähigkeit. Dabei sollten auch philosophische und psychologische Ansätze zum Laufen einen besonderen Platz einnehmen.

Realität

Das Höhendiagramm des Traunsee-Bergmarathons
Das Höhendiagramm des Traunsee-Bergmarathons

Heruntergebrochen auf die konkrete Lebensrealität ist die Teilnahme an Bewerben wie dem Traunsee Bergmarathon neben der konditionell-läuferischen vor allem eine logistische Herkulesaufgabe. Diverse Produkte mit Magnesium, Kohlehydraten in flüssiger Form, Salztabletten uvm. wurden im Vorfeld ausführlich auf ihre Verträglichkeit und ihren richtigen Einsatz getestet und wir wussten, dass wir trotz ausreichender Labestationen einen großen Teil der Verpflegung selber mit uns führen müssen, ebenso die vorgeschriebenen Sicherheitsmaterialen. Diesen Aspekt haben nach eingehender Beobachtung mit Sicherheit nicht alle LäuferInnen erfüllt und es wurde vor dem Lauf keine Gepäckskontrollen durchgeführt (im Vergleich zum Hochkönigman). Andere Bewerbe in Europa verlangen gar nach einem ärztlichen Attest. 

Alex und ich haben uns trotz gemeinsamer Planung und einigen längeren Bewerben und Trainingseinheiten in diesem und letztem Jahr doch sehr asymmetrisch und unterschiedlich auf den Traunseemarathon vorbereitet. Dennoch galt es, „gemeinsam“ und nicht „individuell“ diesen Lauf zu einem besonderen Erlebnis für uns zu machen und den Abschluss der Laufsaison und meiner auslaufenden Zeit in Österreich zu zelebrieren. Die Schlüsselstellen an der Strecke konnten wir die Monate davor belaufen und bewandern, bis auf einige Ausnamen. Das Gelände, die bevorstehende Distanz und Dimension der Strecke beurteilten wir objektiv gemeinsam aber subjektiv auf individuell unterschiedliche Weise. Letztlich war es uns nicht möglich, körperlich um 03:00 Früh mit dem „gleichen“ Gefühl in Gmunden an den Start zu gehen. Aufgrund seiner Magenbeschwerden und Fersenprobleme wusste Alex bereits im Voraus, dass „maximal“ bei der Streckenhälfte in Ebensee oder vielleicht schon früher (vor dem Traunstein) Schluss sein würde. Wir schafften es gemeinsam bis zur Labestation Karbach (KM25), wo Alex mir seinen definitiven Rennabbruch in Ebensee bekannt gab und mich alleine weiterlaufen ließ.

Während der erste Läufer über die Gesamtdistanz nach unvorstellbaren 8 Stunden und ein paar Zerkwetschten in Gmunden ankam, trudelte ich zur selben Zeit in Ebensee ein, in Gedanken bei Alex aber in der Gewissheit, dass unsere Handys aktiviert waren und auch meine Eltern seine Nummer hatten und umgekehrt. Nach ausreichender Verpflegung und einer zwanzigminütigen Pause mit meinen Eltern startete ich weiter Richtung Feuerkogel, an dessen Gipfel ich eine erneute 15-minütige Pause in Form eines power-naps einlegte, eine hervorragende Idee die mir erneute Kraft spendete. Alex schaffte es bis Ebensee und verbrachte die restlichen Stunden gemeinsam mit meinen Eltern („Danke Papa und Mama“). Nach 4000 Höhenmetern und circa 47 Kilometern erreichte mich kurz vor der Labestation Mühlbachtal, welche sich in der Garage eines Privathauses befand, ein schweres Gewitter (4 Sekunden zwischen Blitz und Donner). Einige LäuferInnen befanden sich bereits im sicheren Unterstand mit einem Bier in der Hand (?) und nach einigen wunderlichen Minuten wurde auch mir der aus Sicherheitsgründen völlig berechtigte Rennabbruch mitgeteilt. 

Trotz des dramatischen Verlaufs und dem tragischen Vorfall, von dem wir erst einen Tag danach erfuhren, konnten wir beide sehr viele persönliche Eindrücke gewinnen und werden in unserem Leben weiterhin das Gemeinsame vor das Trennende und unverhältnismäβig Individualistische stellen. Die eigenen Grenzen auszuloten und die persönliche Komfortzone zu verlassen sind sicherlich Motive, welche manchen oder manche dazu verleiten, an Bewerben dieser Art teilzunehmen. Die Intelligenz und das Bewusstsein oder Karma über die möglichen Auswirkungen und Folgen müssen jedoch schon weit im Voraus abgeklärt sein, weshalb schon die Vorbereitung auf ein Vorhaben dieser Art den Weg zum gesunden Erlebnis markiert. Im Leben gibt es sicherlich vielzählige Chancen, sich selbst (nicht nur den eigenen Körper) besser kennen zu lernen und ein Abenteuer zu wagen. Dieser hier ist einer davon und sometimes you just do things.

Beide guerreros am Naturfreundehaus
Beide guerreros am Naturfreundehaus

 

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  1. Pingback: Traunsee Bergmarathon 2016 | LAC Nationalpark Molln

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